Kontemplatives Selbstverstehen, durch Intuitive Spaziergänge in der Natur

Kontemplatives Selbstverstehen, durch Intuitive Spaziergänge in der Natur

 

Im Sinne des Kontemplativen Selbstverstehens unternehmen wir Intuitive Spaziergänge, auch Schwellengänge genannt, und arbeiten mit dem Spiegel der Natur. Dazu wird eine symbolische rituelle Schwelle an einem willkürlich gewählten Ort gelegt oder etwas bereits Vorhandenes geheißen, eine Schwelle darzustellen. Diese muss nicht mehr sein als ein Strich im Sand, ein platzierter Ast oder ein Gartentor. Sie hat dieselbe Funktion wie eine Türschwelle, über die man einen Raum verlässt oder betritt, nur dass sie in diesem Fall einen symbolischen Akt unterstützt und ein rituelles Hilfsmittel darstellt. Auf ihre Bedeutung werden wir weiter unten noch zurückkommen. Zunächst wollen wir untersuchen, wozu solche Intuitiven Spaziergänge dienen, was es mit dem Spiegel der Natur auf sich hat und was genau bei diesen Vorgängen wirkt.

Gerade in Zeiten persönlicher Umbrüche und krisenhafter Phasen, die üblicherweise mit persönlichen Entwicklungsprozessen einhergehen und in denen alte Selbstbilder zerfallen müssen, drängen Themen, aber auch Lösungsansätze und ungeahnte Potentiale aus dem Vorbewussten ins Bewusstsein. Das Vorbewusste liegt in dem topologischen Modell der Menschlichen Psyche Sigmund Freuds zwischen dem Unterbewusstsein und dem Bewusstsein. Was immer von dort ins Bewusstsein drängt, entzieht sich immer noch dem unmittelbaren Zugriff durch das Bewusstsein. Wir können diese Botschaften nicht durch Nachdenken erfassen, da sie noch nicht bewusst sind. Viele von uns stehen in solchen Zeiten hilflos da, weil ihr am schärfsten ausgebildetes Instrument zur Lösung von Problemen der analytische Verstand ist. Was die Situation jedoch verlangt, ist eine nicht kognitive Praxis des Selbstverstehens.

Das für manche einzig Wahrnehmbare dieser inneren Themen und Potentiale ist dieses beunruhigende, verunsichernde und namenlose Drängen. So manche Wachstumskrise beginnt mit dieser Wahrnehmung. Ein altes Gleichgewicht, eine alte Selbstzufriedenheit ist dahin und die Betroffenen leben fortan entweder mit der Frage, wie man dieses beunruhigende Gefühl unterdrücken könnte oder was es genau ist, das sich da derart stark ins Bewusstsein schiebt.

Für die, die sich die letztere Frage stellen, ist die Arbeit mit Intuitiven Spaziergängen und dem Spiegel der Natur die ideale Wahl.

Beim Spiegel der Natur gehen wir von der Faustregel aus, dass sich, metaphorisch gesprochen, unsere innere Seelenlandschaft in der äußeren Landschaft widerspiegelt und wir durch die Beobachtung dieser äußeren Landschaft mehr darüber erfahren können, was in uns gerade ebenfalls so oder selbst so ist. Auch gehen wir davon aus, dass sich im Spiegelbild der äußeren Wirklichkeit unsere ganze innere Landschaft zeigt, inklusive unserer Grundannahmen und jener Anteile unseres Unbewussten, die gerade ins Bewusstsein drängen. Gleichzeitig sorgt eine gesunde innere Ökonomie dafür, dass hierbei immer nur so viel aufgedeckt werden kann, wie wir auch verkraften können.

Wir können auf diese Weise den Gegenstand jenes inneren Drängens symbolisch erkennen, untersuchen, benennen und somit ins Bewusstsein heben. Etwas beim Namen nennen zu können, hat an sich schon einen beruhigenden Effekt, den wir bezeichnenderweise Rumpelstilzchen-Effekt nennen. Im entsprechenden Märchen hat Rumpelstilzchen als Quälgeist nur so lange Macht über seine Opfer, wie sie ihn noch nicht beim Namen nennen können. Sobald wir den Namen von etwas kennen, sobald wir die in das Bewusstsein drängenden Themen benennen können, haben wir die Macht, mit ihnen auch bewusst und integrierend weiterarbeiten zu können.

Wichtige Informationen für die persönliche Entwicklung von ihrer Wartestellung im Vorbewussten abzuholen und sie ins Bewusstsein zu heben, ist eine der wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten der Intuitiven Spaziergänge.

Intuitive Spaziergänge werden vornehmlich in der Natur, möglichst abseits von Menschen und deren Siedlungen unternommen, weil die Natur im Gegensatz zum sozialen Feld, in dem wir uns aus Vorsicht oder Anstand vieles vorenthalten, keine moralischen Wertungen und Urteile kennt. Die Natur hat keine „Hemmungen“, Themen wie Sexualität, Gewalt oder Tod ehrlich und vorbehaltlos widerzuspiegeln, wenn sie ins Bewusstsein drängen. Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn es sich um persönliche Schwachpunkte, blinde Flecken oder sehr verletzliche Anteile von uns handelt, die wir uns von keinem anderen Menschen hätten aufzeigen lassen.

Die Natur repräsentiert, im Gegensatz zum sozialen Feld, auch die Gesetzmäßigkeiten einer Art unumstößlichen höheren Ordnung, die ebenso für unsere innere Natur gilt und an die sie uns in selbstordnender Weise immer wieder erinnern kann.

 

Was wirkt da?

Was auf den ersten Blick nach zu viel Esoterik aussieht, macht aus wahrnehmungspsychologischer und neurologischer Sicht jedoch sehr viel Sinn. Wir nehmen unsere Welt durch individuell verschiedene Filter wahr. Da diese Filter jeweils mit unserem momentanen seelischen Befinden zusammenhängen, sagt das von uns Wahrgenommene viel mehr über uns als über die objektive Welt selbst aus.

Eine schwangere Frau, die vom Einkaufen zurückkehrt, wird aus diesem Grunde wahrscheinlich berichten, dass ihrer Wahrnehmung nach demnächst der reinste Babyboom ausbrechen müsse, so viele schwangere Frauen seien plötzlich in der Stadt unterwegs. Natürlich hat sich die reale Zahl der Schwangeren nicht erhöht, erhöht hat sich nur die Wahrnehmung der schwangeren Frau, da sie von dieser Thematik gerade ganz erfüllt ist. Es gibt auch Studien, denen zufolge überwiegend solche Menschen einen am Boden hingelegten Geldschein finden, die zu diesem Zeitpunkt positiv gestimmt waren und ein solches Glück grundsätzlich für möglich hielten.

Die alten Kabbalisten (jüdische Mystiker) hatten somit wohl recht, als sie sagten, dass man nicht einfach behaupten könne, die Welt sei nun mal so, wie sie ist. Vielmehr müsse man sagen, die Welt sei so, wie man selbst gerade ist. Nie könne man in seiner Wirklichkeit etwas Anderes erblicken als sich selbst.

Wenn wir akzeptieren können, dass wir Menschen in unserer Wahrnehmung wie beschrieben ticken, können wir einen einfachen Schritt weitergehen. Die Vermutung liegt dann nahe, dass wir mehr darüber erfahren können, was in uns gerade vor sich geht, wenn wir schlicht genauer darauf achten, was wir in unserer äußeren Wirklichkeit wahrnehmen. Genau dies ist bereits das Grundprinzip Intuitiver Spaziergänge oder das von Schwellengängen.

Bildlich gesprochen sehen wir bei Schwellengängen im Spiegel der äußeren Landschaft das Bild unserer inneren Seelenlandschaft. In dieser figurativen Sprache verbleibend, können wir die innere Seelenlandschaft in verschiedene Provinzen unterteilen.

In der Kern-Provinz kennen wir uns bereits ziemlich gut aus, weshalb wir sie mit unserem Bewusstsein vergleichen. Sie ist von einem riesigen Gebiet umgeben, das wir Terra Incognita, das unbekannte Land unserer Seele, nennen und das wir mit unserem Unterbewusstsein bzw. mit dem Vorbewussten gleichsetzen können. Zudem gibt es Bereiche, in die wir zwar schon manchmal vorgedrungen sind, die wir jedoch für kein Geld dieser Welt freiwillig wieder betreten würden. Zu beängstigend waren die Eindrücke, die wir dort von uns sammelten und zu inakzeptabel für unser Selbstbild.

All diese Provinzen sind jedoch Teile von uns, sind auch wir, nur dass unser Bewusstsein noch nicht bis zu allen Orten darin vorgedrungen ist. Die unbekannten Teile unserer inneren Landschaft, die dem Unter- oder Vorbewussten angehören, können mittels des Kontemplativen Selbstverstehens im Spiegel der Natur bewusst wahrgenommen und untersucht werden.

Das vertraute Terrain der Kern-Provinz zu verlassen und die Grenze zu dem noch Unbekannten zu überschreiten, macht allein schon Angst. Diese Angst müssen wir ernst nehmen, damit sie unser Bemühen nach tieferem Selbstverstehen nicht zu sabotieren beginnt. Um sie zu verstehen, müssen wir uns vor Augen führen, dass echte Wachstumsprozesse immer an jener Grenze stattfinden, an der alles, was wir bisher über uns wussten, endet und die Terra Incognita unseres Bewusstseins beginnt – das Don´t know Land.

In der Gestalt-Theorie von Fritz Perls wird diese Grenze „Kontaktgrenze“ genannt und mit einer Theaterbühne verglichen. Es ist aufregend, auf die Bühne und vor das Publikum zu treten, da wir vorher nie wissen können, wie es sein und was geschehen wird. Die Kontaktgrenze fordert dazu auf, etwas Unvorhersehbares und nur zum Teil Kontrollierbares zu riskieren. Die Gestalt-Theorie besagt, dass persönliches Wachstum und das Gefühl echter Lebendigkeit ausschließlich auf dieser Grenze erlebt werden können. Es ist legitim, sich aus Furcht vor dem Unplanbaren hinter dem Vorhang der Bühne zu verbergen, dort, wo es sicher zu sein scheint. Dort kann uns nichts passieren – allerdings passiert dort auch nichts. Mit der Entscheidung, hinter dem Vorhang zu bleiben, entscheiden wir uns für die Stagnation, denn dort kann kein Wachstum und keine Lebendigkeit erlebt werden.

Wenn wir uns mutig für diese „growing edge“ unserer Persönlichkeit entscheiden und wir beim Wachsen dem (monomythischen) Ruf ins Unbekannte folgen, setzen wir uns zwar immer wieder der Angst aus, die mit dem Unvorhersehbaren einhergeht, werden jedoch mit der Erfahrung belohnt, lebendig und im Flow zu sein.

Beim Schauen in den Spiegel der Natur haben wir es zudem mit der Angst zu tun, dass wir bei solcher seelischen Selbstbeschau Dinge vorfinden könnten, von denen wir lieber gar nichts wissen wollen und die uns derart aus dem Gleichgewicht bringen könnten, dass wir nicht mehr zur Alltagsbewältigung fähig wären. Der eher vorsichtige und ängstliche Teil in uns möchte verhindern, dass noch „ein Fass“ aufgemacht wird und die Auseinandersetzung mit einem neuen inneren Thema losgeht. Er möchte lieber zurück zu einer Homöostase, die jedoch meist ohnehin schon verloren ist.

 

Das Hilfsmittel der rituellen Schwelle

Um dem soeben erwähnten vorsichtigen Aspekt in uns gerecht zu werden, bedienen wir uns des rituellen Hilfsmittels der Schwelle. Mit ihrer Hilfe können wir eine Art Deal mit diesem ängstlichen Teil in uns abschließen. Wir versprechen, uns nur für eine festgelegte Zeit hinter dieser Schwelle aufzuhalten. In dieser Zeit erlauben wir uns, jene tiefere Wahrnehmung unseres Selbst zuzulassen. Danach würden wir über die Schwelle zurückkehren, sozusagen die Tür zu dieser Schwellenwelt hinter uns verschließen und wieder jene gesunde Ignoranz an den Tag legen, die wir zu unserer Alltagsbewältigung brauchen. In den meisten Fällen lässt sich unser ängstliche Teil auf einen solchen Deal ein.

Das rituelle Hilfsmittel der Schwelle hilft auf diese Weise für eine überschaubare Zeit mit einer achtsameren Wahrnehmung in den Spiegel der Natur zu schauen. Es verhindert, dass der ängstliche Teil in uns dies zum Beispiel durch das Werfen gedanklicher Nebelbomben zu sabotieren versucht.

 

Richtlinien für Intuitive Spaziergänge

Für viele ist der Fokus auf innere Vorgänge ungewohnt, zumal, wenn sie diese innere Natur im Spiegel der äußeren wahrnehmen sollen. Daher ist es für ein Gelingen erforderlich, während eines Schwellengangs möglichst viele Formen der üblichen Zerstreuung zu unterlassen. Es braucht Übung und Vertrauen zum Verfahren, um den üblichen inneren Lärm und die Abschweifungstendenzen des Geistes zu beruhigen. Auch deshalb gehen wir immer allein über die Schwelle.

Gespräche mit einer anderen Person oder lediglich deren Anwesenheit würden unseren Fokus von der feinen und achtsamen Wahrnehmung der uns umgebenen Wirklichkeit ablenken.

Wenn uns jemand hinter der Schwelle begegnet, können wir wählen ihm*ihr auszuweichen, kurz zu grüßen oder ihm*ihr eine gezielte Frage zu stellen, wodurch wir ihn*sie als einen Teil des Spiegels der Natur annehmen. Wichtig dabei ist, nur eine einzige spontane Frage zu stellen, die Antwort entgegenzunehmen und sich danach auf kein weiteres Gespräch einzulassen, sondern sich zu bedanken und weiter zu gehen.

Wenn mehrere Schwellengänger*innen gleichzeitig unterwegs sind, wird meistens vorher verabredet, dass man sich gegenseitig für unsichtbar erklärt und es in keiner Weise unhöflich ist, grußlos aneinander vorbeizugehen. Dies ist eine Geste des Respekts vor der eventuellen Prozesstiefe, in der ein Gegenüber sich gerade befinden könnte.

Ein anderes gewohntes Mittel der Zerstreuung ist das der Nahrungsaufnahme. Beim Fasten wird deutlich, welchen Raum dieses Thema in unserem Leben einnimmt. Essen und andere Genussmittel sind zudem bekannt dafür, etwas damit herunterschlucken, verdrängen und überspielen zu können. Dies ist bei einem Schwellengang – und nicht nur hier – ungünstig. Deshalb fasten wir, während wir uns hinter der Schwelle befinden. Was dagegen nicht nur erlaubt, sondern unabdingbar ist, ist die Mitnahme von ausreichend Trinkwasser.

Sich den Elementen der Natur so auszusetzen, dass wir auch von ihnen berührt werden können, stellt eine weitere Kernqualität des Intuitiven Spazierganges dar. Warm und trocken zu bleiben, verlangt unsere Gesundheit. Darüber hinaus sollten wir indes nicht so viele schützende Schichten um uns gelegt haben, dass wir einen leisen Wind gar nicht mehr bemerken oder den Ruf eines Vogels nicht hören können, weil wir z. B. im Zelt oder gar im Auto sitzen.

Wenn wir für uns allein einen Schwellengang unternehmen, sollten wir das aus Sicherheitsgründen eine andere Person wissen lassen. Wir geben ihr den ungefähren Zeitraum unserer Abwesenheit und die Gegend, in der wir unterwegs sein wollen, bekannt und vereinbaren eine kurze Rückmeldung, wenn wir wohlbehalten wieder da sind.

 

Wie lese ich den Spiegel der Natur?

Zunächst sollten wir uns nicht erhoffen, hinter der Schwelle eine andere, irgendwie magische Welt vorzufinden. Alles was sich nach dem Überschreiten der Schwelle ändern kann, ist die Höhe unserer Achtsamkeit und die Intensität unserer Wahrnehmung.

Es geht nicht darum, einen besonders herausfordernden oder schwierigen Weg zu nehmen. Auch ist es nicht nötig, weite Strecken zurückzulegen oder die ganze Zeit zu laufen. Aufenthalte an Plätzen, die uns anziehen, selbst Schlafen und Träumen dort, können von Bedeutung sein. Das einzige, worauf es ankommt, ist mit allen Sinnen offen zu sein für die Schönheit des Lebens und die Wirklichkeit des Todes, so wie die Natur uns beides zeigt.

Die Aufmerksamkeit mancher Schwellengänger*innen fällt bereits nach wenigen zurückgelegten Metern auf etwas, das sie weiterhin die ganze Zeit fesselt. Manche heben einen Gegenstand auf, ohne zu wissen, was er bedeutet, und nehmen ihn mit nach Hause, Andere sind der Ansicht, ergebnis- und ereignislos zurückkehren zu müssen, bis ihnen auffällt, dass sie die ganze Zeit ein Lied vor sich her gesummt haben, dass sie gar nicht mögen, dessen Text jedoch genau die Information enthält, nach der sie suchten.

Dies ist es, was es braucht: die Annahme, dass wirklich alles, was sich hinter der Schwelle ereignet, von tieferer Bedeutung ist und sich uns mitteilen will. Dass wir jenseits von Verstehen-Wollen darauf vertrauen, Wesen und Kräfte der Natur anzuziehen, die uns symbolische Hinweise auf unsere Gaben und Fragen geben.

Manche planen ihren Schwellengang generalstabsmäßig und legen vorher schon den genauen Weg fest, den sie in einer genau berechneten Zeit und in einer wohl bekannten Gegend bewältigen wollen. Dies stellt wahrscheinlich den Versuch dar, die Kontrolle über den Verlauf der Unternehmung behalten zu wollen.

Wenn wir lediglich einen vorgefertigten Plan abarbeiten, kommt dies einem Spaziergang durch unsere Kernprovinz gleich. In ihr würden wir nur die Antworten finden, die wir bereits kennen. Das kann nicht die Motivation sein, über die Schwelle zu gehen.

Es reicht, gerade so viel Aufmerksamkeit auf den Verlauf des Weges zu legen, dass wir später auch wieder zurückfinden. Ansonsten gilt die Einladung, sich treiben zu lassen. Anstatt etwas finden zu wollen oder herbeizurufen, geht es vielmehr darum, sich von etwas finden, rufen und führen zu lassen. Sobald uns etwas vom gedachten Weg fortführt und wir den Mut haben, dem nachzugehen, befinden wir uns bereits auf einer Expedition nach der Terra Incognita unserer Seele.

Wird unsere Aufmerksamkeit z. B. von einem bestimmten Baum angezogen, so sollten wir uns bewusst sein, dass dies mit jenem 55 Tausendstel zu tun haben könnte, das die Filter unserer Wahrnehmung deshalb durchlassen, weil es etwas mit uns zu tun hat. Wir sollten dem nachgehen und schauen, was der Baum aus der Nähe betrachtet für uns bereithalten mag.

Betrachten wir ihn daraufhin, können wir die gemachte Wahrnehmung mit einer Hilfe übersetzen, die mit dem alt-chinesischen Wort für Natur, „zi-ran“, zu tun hat. Ins Deutsche übersetzt hieße es „Selbst so“. Ganz im Sinne unserer philosophischen Betrachtung, dass wir in unserer Wirklichkeit nie etwas Anderes erblicken können als uns selbst, verstanden die alten Chinesen die sie umgebende natürliche Wirklichkeit von vorn herein als etwas, das „Selbst so“ ist.

Finden wir diesen Baum auf den ersten Blick unversehrt, stellen dann aber fest, dass er auf der Rückseite tief verwundet ist, können wir uns fragen, was in uns selbst dieser Symbolik entspricht.

Vielleicht fällt unsere Aufmerksamkeit auf eine Ameise am Fuß dieses Baumes, die etwas viel zu Schweres durch den weichen Sand eine Anhöhe hinauf zu schleppen versucht. Immer und immer wieder rutscht sie kurz vorm Ziel mit dem rieselnden Sand wieder herunter, dabei müsste sie es, rational betrachtet, nur ein wenig weiter links versuchen, denn dort gäbe es dieses Hindernis nicht.

Wenn wir uns jetzt fragen, was in unserem Leben selbst so ist wie dieses Symbol, dann könnte die Einsicht kommen, dass wir in unserem Leben gerade viel zu schwere Dinge tragen und dass es gut wäre, sich einen Überblick zu verschaffen, um alternative oder leichtere Wege erkennen zu können. Bei vorbewussten Themen, die ins Bewusstsein drängen, reicht oft schon ein solcher symbolischer Hinweis, ein kleiner Schubser, damit sozusagen der Groschen fällt.

Ein anderes Verfahren, um die Erlebnisse und Wahrnehmungen aus einem Schwellengang tiefer verstehen und einordnen zu können, ist das respektvolle Feedback-Verfahren des Spiegelns, das üblicherweise auf einen Schwellengang folgt. Um einen solchen Spiegel auf unser Erlebtes zu erhalten, erzählen wir jemandem unseren Erlebnisbericht und bekommen diesen daraufhin von dieser Person zurück gespiegelt.

Die Kunst des Spiegelns besteht darin, zu bekräftigen und zu vertiefen, ohne Guru-haft zu interpretieren und das Eigene mit hineinzumischen.

Auszug aus dem Buch „TRANCE UND CHANCE“ von Holger Heiten, bitte nicht unautorisiert weiterverwenden