Visionssuche, eine moderne Form archaischer Übergangsrituale

Es gibt Zeiten, wo Du den Durchgang durch tief greifende Veränderungen, akzeptieren, vollziehen, ja manchmal sogar feiern musst. Du weißt dann, dass Du Dein bisheriges Leben verlassen musst, doch wohin soll die Reise gehen? Visionssuche ist die uralte Weise, alle Ablenkung zurückzulassen, allein und fastend in die Wildnis zu gehen, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten.

Wir wachsen durch solche Übergangskrisen. Das griech. Wort „crisis“ kann als Entscheidung übersetzt werden, aber richtiger mit: „Es entscheidet sich“. Krisen sind jene Schwellenzustände, in denen das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht trägt. Jeder Entwicklungsschritt und jede Heilung setzt eine Entscheidung zwischen beidem voraus.

Neben den biologisch bedingten Übergängen, wie Pubertät, Elternschaft, Wechseljahre und Alter, durchleben wir vielleicht auch andere, individuelle , wie Wohnort- und Arbeitsplatzwechsel, der Verlust geliebter Freunde bzw. Familienangehöriger, Unfälle, Krankheiten und ähnliches mehr. So gehen wir alle im Leben durch z.T. dramatische Wandlungskrisen, alte Verwurzelungen, Sicherheiten und Gewohnheiten werden brüchig, Abschied und Neuausrichtung stehen noch nebeneinander und verlangen mit der Zeit nach Ent-Scheidung. Unser Anspruch, bzw. unsere Aufgabe als Visionssuche-Leiter/innen besteht nicht darin, Menschen zu verändern, sondern vielmehr sie darin zu unterstützen, bereits vollzogene Veränderungen beim Namen zu nennen und mittels dieses „Bestätigungs-Rituals“ als irreversible in ihrer Biographie zu markieren. In die sich dadurch öffnenden Räume werden nicht selten Einsichten und natürliche Weiterbewegungen im Lebensprozess möglich, die jedoch weder von uns noch von den Teilnehmer/innen „getätigt“ werden können, sondern vielmehr, der eigenen Natur folgend, geschehen.

Visionssuche Ablauf

In der Vorbereitungszeit erlernst Du ein Sicherheitssystem und ansonsten lässt Du alles, was Du schon über Dich wusstest, zurück. 

In der einsamen Stille, wird dann der ehrliche Spiegel der großen Natur zur untrüglichen Informationsquelle über alles, was Du eben noch nicht bewusst von Dir wusstest. Während dessen wachen wir Leiter im gut erreichbaren Basislager und sorgen für physische Sicherheit.

In der Nachbereitung wirst Du Deine Geschichte in feierlicher Runde erzählen und auf Deine Rückkehr in den Alltag vorbereitet.

Die Visionssuche ist eine moderne Form der Übergangsrituale unserer Vorfahren. Sie folgt, frei von traditionellem Beiwerk, schlicht dem Grundmuster, das allen bekannten Übergangsritualen zugrunde liegt. Im Kern eines 12-tägigen Rituals, gehen wir, wie einst Buddha, Jesus oder Mohamed, fastend und allein, nur mit der nötigsten Ausrüstung, in die Wildnis und zwar für vier Tage und Nächte.

Die Zeit davor dient der inneren und äußeren Vorbereitung, die sich neben den wichtigen Sicherheitstrainings und Naturübungen, um Klärung, würdevollem Abschied von Altem und um die Entschleunigung in die Einfachheit dreht. Alles, was wir bereits über uns wissen, kann dort zurückgelassen werden. Getreu unserer Philosophie, dass ein Gefäß erst leer geworden sein muss, um mit Neuem gefüllt zu werden, nehmen Visionssucher/innen, abseits aller üblichen Ablenkung, die innere Geste einer aufnahmebereiten leeren Schale an. In dieser Stille wird der ehrliche Spiegel der großen Natur zur untrüglichen Informationsquelle über alles, was wir eben noch nicht bewusst über uns wussten.

Wir sind gewohnt uns in Krisenzeiten den Kopf darüber zu zerbrechen, was wir eigentlich mit unserem Leben anfangen wollen. In der Visionssuche hingegen, geben wir dem Leben einmal die Gelegenheit uns mitzuteilen, was es eigentlich mit uns anfangen will. Die Visionssuche ist eine echte Alternative zu unserer Gewohnheit, etwas zu konsumieren, bzw. zu meinen etwas tun zu müssen, wenn uns was fehlt. Während einer Visionssuche geht es jedoch gerade darum leer zu werden und eher zu „lassen“, als etwas zu tun.

So haben die meisten Teilnehmer/innen auch gar nicht soviel Angst, in der kurzen Fastenzeit zu verhungern, sondern vielmehr vor dem, was hochkommen wird, wenn man sich nicht mehr durch ständiges Tun davon ablenken kann. Dieses Furchterregende, was da ständig vermieden werden muss, dieser bedrohliche Schatten ist es aber, was mit dem Drachen der alten Mythen und Märchen zu vergleichen ist. Erst wenn die Held/innen der Visionssuche diesem Drachen standhalten, kann auch hier das gesuchte Elixier in Besitz genommen werden, welches von diesem Drachen oft einfach nur bewacht wurde. Gerade diese Begegnung sorgt dafür, dass nicht dieselbe Person in die Gemeinschaft zurückkehrt, die einst in die Wildnis auszog.

In der Nachbereitungszeit, werden die Geschichten der persönlichen Heldenreisen in feierlicher Runde gehört und bezeugt. Durch eine „Spiegeln“ genannte Technik, werden die darin enthaltenen Gaben verdeutlicht und vertieft, nie jedoch interpretiert. Am Ende wird sich dem schwierigsten Teil der Visionssuche gewidmet, nämlich der Integration des Neuen in den Alltag Zuhause. Die Teilnehmer/innen einer Visionssuche können noch für das ganze folgende Jahr die Betreuung durch ihre Leiter in Anspruch nehmen.

 

DIE QUESTE

Eine europäische Wurzel unserer Arbeit

Die Queste (französisch ausgesprochen) oder Quest (englisch/deutsch ausgesprochen) galt im Mittelalter als abenteuerliche Suche (Heldenreise, Aventiure).

Demgemäß begibt sich ein*eine berufene*r Protagonist*in auf waghalsige Missionen, besiegt gefährlichste Feinde, birgt verlorene Schätze, rettet entführte Edeldamen und hat dabei oft ein beinah unerreichbares Ziel im Visier.

Der Mythenforscher Joseph Campbell beschrieb dies später als „Monomythos“, eine, von ihrer Grundstruktur her immer wieder neu erzählte Geschichte, von der uralten seelischen Bewegung, die sich in Menschen vollzieht, die durch einen Wandlungsprozess gehen, oder bildlich gesprochen, auf einer Art Pilgerreise oder Wallfahrt zu einem tieferen Zuhause in sich selbst, bzw. einer tieferen Wahrheit und Reife in sich selbst, unterwegs sind.

Die bekannteste Überlieferung ist „La Queste del Saint Graal“, also die Suche nach dem heiligen Gral, aus dem Artus-Mythos. Ethnologen des 19. Jahrhunderts hatten diesen Begriff aus Europa im Kopf, als sie die indianische Bezeichnung „Das flehen um ein Gesicht“ für ihr Übergangsritual, mit „Vision Quest“ übersetzten. Übersetzt als „Visionssuche“, kam es, quasi als Reimport aus Amerika, zu uns nach Europa zurück.

Wir bezeichnen Übergangsrituale, die kürzer als eine 12 bzw. für junge Leute 11´tägige Visionssuche sind, in Anlehnung an diese alte europäische Wurzel, als Queste oder Quest. Sie sind somit per Definition keine regulären Visionssuchen, jedoch nicht weniger intensiv.

 

Empfehlenswerte Literatur

Buch
Steven Foster & Meredith Little, Visionssuche, Sinnsuche und Selbstfindung in der Wildnis
Arun-Verlag, ISBN 3-935581-09-2, Foster und Little haben ausführliche pankulturelle Studien zu Initiations- und Übergangsriten betrieben und haben von nordamerikanischen Indianern gelernt. Mit ihrer theoretischen und praktischen Arbeit haben sie den archetypischen Kern der Visionssuche für uns sichtbar und diesen Übergangsritus für Menschen der westlichen Industriekultur praktisch zugänglich gemacht. Mehrere tausend Menschen aller Hautfarben und verschiedenster Glaubensanschauungen haben sich unter ihrer Anleitung in die Wildnis begeben.

Buch
Sylvia Koch-Weser & Geseko v. Lübke, Vision Quest,
Drachenverlag, ISBN: 978-3-927369-89-4, 24,80 €

 

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