Heyoka, Hermes, Heiopei
Ein Seminar oder so. Nur wenige Mythen haben eine so weite Verbreitung wie die des Tricksters. Sie gehören zu den ältesten Ausdrucksweisen der Menschheit. Wir begegnen ihnen bei den alten Griechen, in China, Japan, bei den semitischen Kulturen, in Afrika. „Der Trickster ist verspielt, boshaft, subversiv und amoralisch, er kennt kein Gut und Böse. Denn er ist zuständig für beides.“ (Paul Radin). Er ist listig und tölpelhaft zugleich, ein Betrüger und Scharlatan, der die Ordnung des Universums durcheinanderbringt. Sein Job ist es zu provozieren und so das in Selbstgefälligkeit erstarrte Bewusstsein der Norm zu entlarven. “Er ist der Geist des Chaos, ein Feind der Grenzen”, sagt Karl Kerényi. Seine Eigenschaften finden sich nicht zuletzt im Heiligen Clown, im Schelm, im mittelalterlichen Gaukler, in der Colombina der Commedia dell´arte und im Hanswurst des Kasperletheaters. Er nimmt die Gestalt von Göttern, Tieren oder Fabelwesen an – unberechenbar, unersättlich und jedwede Grenzen sprengend. „So gut wie alles, was wir einem Psychopathen zuschreiben können, können wir auch dem Trickster zuschreiben,“ schreibt Lewis Hyde in Trickster makes this world. Hyde untersucht hier neben den mythologischen Gestalten auch Trickster der Neuzeit wie Picasso, Ginsberg und Cage auf ihre kulturerneuernden Qualitäten hin. Erst einen Tag alt tritt Hermes über die Schwelle der Höhle, in der ihn seine Mutter, Maia, geboren hat. Das erste, das ihm begegnet, ist eine Schildkröte. „Was gibt es da draußen?“, fragt ihn seine Mutter und Hermes‘ Antwort könnte lauten: „Nur eine alte Schildkröte!“ Schon der Anthropologe Victor Turner beschreibt Anfang des 20. Jahrhunderts in The Ritual Prozess den Raum hinter der Schwelle, das „Betwixt und Between“, als generativ und spekulativ. Das Bewusstsein, „das diesen Raum willentlich betritt, erschafft neue Strukturen, neue Symbole, neue Metaphern. Dieses Schwellenbewusstsein kann in jedem erwachen.“ Ist der Trickster Inkarnation dieses Bewusstseins, der Meister, der Gott des Schwellenraumes, wie Hyde ihn nennt? Ist sein Wirken konstruktiv? Und: Braucht es in Zeiten, in denen Ideologie mit Identität gleichgesetzt wird und Perspektivenwechsel zum Fremdwort gerät, das Korrektiv des Koyoten, um unsere marode Welt endlich aus den Angeln zu heben und zu bewegen? Kann die verstörende Energie der heiligen Archetypen, Autoritätsverächter, Gestaltenwandler und Agenten des Unheils unsere Arbeit bereichern, unsere Beziehungen erneuern, unsere (dümpelnden) persönlichen Prozess beflügeln? Die Fähigkeit des Tricksters „Durchgänge zu öffnen und zu schließen, dient dem menschlichen Leben …“ sagt Robert D. Pelton und folgerichtig müssen wir zugrunde gehen, das sei hier mit mephistophelischer Strenge behauptet, wenn in uns der Trickster stirbt. Die Prophezeiung des Weltuntergangs (Ragnarök) beginnt, nachdem die Götter in Asgard den großen Täuschertrickster Loki lahmlegen, weil er die reine Personifizierung des Guten, den Gott Baldr, ins Jenseits befördert. Doch hat diese Welt, und damit auch wir, nicht längst alle Trickster ins Exil geschickt und zu Teufeln und Monstern erklärt? Und hat Trickster-Energie überhaupt jemals ein pädagogisches Anliegen gehabt? Geht es darum, was Trickster macht, oder darum, was wir damit machen, was Trickster macht? Oder geht es darum, unseren eigenen Tricksterqualitäten zu begegnen? Könnte dies ein Gegenstand unserer gemeinsamen Forschung sein? “Questions, Questions, Questions, flooding into the mind of the concerned young person today. Ah, but it’s a fucking great time to be alive, ladies and gentlemen. And that’s the theme of our program for tonight.” (Frank Zappa) „A fucking great time“: Können wir, die Seminarleitung, das garantieren? Kaum. Können wir wissen, was Coyote und Rabe für uns in diesen Tagen des Seminarodersos (Achtung: „SOS“ am Ende!) bereithalten? Kaum. Gibt’s im besten Fall Geld zurück? Kaum. So sei es Koketterie oder Planlosigkeit, wenn wir dieses Seminar als voraussichtlich „experientiell“ und „partizipativ“ und, in Tricksters Namen, „unintellektuell“ bezeichnen. Ein letzter Köder sei ausgeworfen, denn Köder und Trickster sind untrennbar miteinander verbunden: Trifft das alles nicht sogar einen buchstäblich Not-wendigen Zeitgeist? „From Hero to Trickster“ titelt ein Podcast der School of Mythopoetics und die wunderbare Neo-Troubadourin Sophie Strand wirft aktuell neue Perspektiven auf die Mythen des Grals, auf Tristan, Dornröschen und Dionysos, sieht Trickster-Qualität im Wilden Mann des Eisenhans und erlöst so manche mythologische Gestalt von der Linearität Campbell’scher Heldenreisen. Zeitgeist hin oder her: Susanoo, der koreanische Trickster, entweiht mit seinem Kot die himmlische Zeremonie seiner Schwester, der Sonnengöttin Amaterasu, wirft ein gehäutetes Pferd rücklings durchs Dach ihrer Webhalle und – Soll denn der Sommer ewig währen? – verletzt sie dabei tödlich. So schlimm wird es wohl nicht werden. Kaum. Vielleicht ein wenig mehr als kaum. Das können wir beinah garantieren. Und mangels weiterer Ideen enden wir mit Annie Dillard’s Worten: „Schönheit und Anmut treten auf, ob wir sie nun wollen und spüren oder nicht. Das Wenigste, was wir tun können, ist zu versuchen, da zu sein.“ Was hättest du mit der alten Schildkröte gemacht? fragen voller zielloser Vorfreude Heike und WernerAuf den Spuren von Koyote und Co.